Mann vor schwarzem Hintergrund mit pinken Buchstaben

KI – künstliche Intelligenz(bestie)?

Manchmal sucht man sie selbst mit dem Brennglas vergeblich, andere haben sie mit Löffeln gefressen und nun ist die Intelligenz künstlich und vor allem schreibt sie Texte. Und über kurz oder lang kann sie alles, was wir können – nur besser, schneller und vor allem billiger. Ist das so? Wir haben uns unsere neuen künstlichen Freunde mal mit der Redaktions-Lupe angeschaut.

Gerald Merkel
cyperfection
31. März 2023
Lesezeit: 11 min

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Künstliche Intelligenzen sind seit ein paar Wochen überall und vor allem in aller Munde. Sie sind die besseren Suchmaschinen, sie können texten, dass David Ogilvy im Grab rotiert, malen wie Dali und Van Gogh gleichzeitig und in Minnesota besteht ChatGTP sogar die Jura-Prüfung. In Bayern fällt dieselbe KI allerdings durchs Abitur. Nicht zuletzt da auch ich nur das hessische Abitur nachweisen kann und Öffentliches Recht lediglich als Nebenfach und schon gar nicht in Minnesota studiert habe, lass ich das gern so stehen und bleibe bei meinem Leisten: Aus professioneller Perspektive Möglichkeiten, aktuelle und zukünftige, für das Arbeiten in unserer Branche einzuordnen und zu beurteilen. Genau das hat meine fantastische Kollegin Briana kürzlich in ihrem lesenswerten und differenzierten Beitrag schon getan. Warum nun noch dieser? Spoiler: Die Grundannahme war, dass unsere Sichtweisen auf interessante Art und Weise auseinandergehen.

Ein paar Gedanken später, nach wiederholtem Lesen ihres Beitrags und natürlich Herumexperimentierens mit KIs stellt sich heraus: Wir liegen in der Bewertung der Art und Weise, wie sich unsere Arbeit mit und ohne KIs zukünftig gestalten wird, am Ende kaum auseinander. Das Widersprüchliche an uns Menschen und die schiere Kraft der Rationalität geben sich hier die Hand. Briana und ich als Agentur-Archetypen: Sie, die neugierig-verspielte Kreative, ich, der skeptisch-analytische Schreiber mit Flicken am Ellbogen. Aber im Ergebnis eben doch eine sehr ähnliche professionelle Einschätzung, mit der sich gerade wegen gewisser unterschiedlicher Ausgangs-Perspektiven wunderbar arbeiten lassen wird. Das nennt sich dann wohl Team – KIs, könnt ihr solche Symbiosen?

ChatGPT & Kollegen – Textschmiede und Schreibwerkstätte?

Zwei häufig zu hörende Aussagen über ChatGPT:

  • Klare Briefings sind das A und O
  • Vorhandenes Reproduzieren ist ok, kreativ wirklich neues erschaffen eher nicht.

Auf meine Bitte, einen Namen für eine Text-Agentur zu suchen, der einen Bezug zum Handwerk herstellt, wird erwartungsgemäß die „Textschmiede“ ausgespuckt“ (auf „Schreibwerkstatt“ liefen auch ein paar Wetten). Läuft also. Ein bisschen suggestiv fragen, und schon kommt der Klassiker unter den schon beim ersten Mal nicht sooo kreativen Namensfindungen. Sicherlich kein erschöpfendes Beispiel, aber es zeigt tatsächlich, dass sich die Nutzung einer Text-KI vor allem dann lohnt, wenn man klare Vorstellungen hat und diese auch möglichst klar formuliert. Und es ist von Vorteil, wenn es um kurze, einfache Zusammenhänge geht – vielleicht Headlines? Jein. Mag jeder selbst versuchen, aber kommt ein Quäntchen Anspruch an Originalität und Zusammenhang dazu, enttäuschen die ersten Ergebnisse in aller Regel. Es braucht Verfeinerungen, weitere Briefings. Und es ist schnell zu merken, dass dieselbe Zeit in die Arbeit mit der KI fließt, die man auch in die eigene Assoziationsfabrik investiert hätte.

Noch interessanter wird das Ganze bei längeren Blogbeiträgen. Das Verhältnis zwischen der Zeit, in der man prüft, was eine KI so ausspuckt und dann das eigene Briefing optimiert vs. der Zeit, die es bräuchte, selbst zu schreiben, lässt sich hier schwerer bemessen. Informationen, Aufbau und bis zu einem gewissen Punkt die Tonalität – an all dem lässt sich feilen – bzgl. der Qualität des Endergebnisses allerdings auch in genau dieser Hierarchie. Festhalten lässt sich: Gerade, wenn man selbst „auf dem Schlauch steht“ kann eine KI einem unter günstigen Umständen den ein oder anderen Anstoß liefern, sei es für die Idee zu einer Headline oder eines Social Media Posts. Allerdings weniger in dem Sinn, dass die KI etwas ausspuckt, das so übernommen werden kann. Eher als eine Art Sprungbrett: Eine Idee oder Formulierung, die die eigene Assoziationskette zum Laufen bringt.

Content (is) KI(ng)

Dasselbe gilt für längere Beiträge, aber in deutlich geringerem Ausmaß. Tonalitäten sind das eine. Mit viel Mühen und Gezerre bringt man ChatGPT und Co. eventuell in die Nähe eines gewünschten „Sounds“. Aber eben nur in die Nähe. Kommen Spezifikationen, wie das Texten rund um Healthclaims oder ähnliches dazu, und verlangt man von einem Text ein gewisses Maß an Spritzigkeit, Emotionalität, Wortwitz und Empathie … Tja, da ist sie dann wieder, die Chance für die Schreibwerkstatt.

Gerade im Healthcare- und Pharma-Bereich war das Thema eigenständige Inhalte, sympathisch und empathisch verpackt, unter dem Stichwort Content Marketing vor ein paar Jahren gebetsmühlenartig in aller Munde. Schaut man sich an, was eine KI in dieser Richtung produziert, versteht man schnell wieder warum. Staubtrockene, lehrbuch- oder phrasenhafte Wissensvermittlung füllt vielleicht Websites mit sogenanntem Content – aber nicht mit bleibenden und wiederkehrenden Nutzern. Gerade bei gesundheits-relevanten Themen hat eine KI einen deutlichen strukturellen Nachteil: Sie ist nun mal bei bester Gesundheit und Erfahrungen mit der entsprechenden Empathie zu transportieren, besser gesagt zu transferieren, ist ihr nicht möglich. Kurzer thematischer Ausreißer und Lesetipp: Zum Thema KI und die Verarbeitung von Erfahrungen und Gefühlen auf dem Gebiet der Kunst lässt sich hier der australische Musiker und Songwriter Nick Cave lesenswert aus.

Zurück zu unseren Sphären: Auch das Arbeiten mit der KI hat Tücken. Assoziationen und so etwas wie Flow entstehen beim Schreiben. Die KI mag schneller sein (und sie ist beeindruckend schnell), aber in einen Flow kommt sie nicht. Der Eindruck, dass das Arbeiten mit ihr ebenfalls einen Flow verhindern, der dann ja oft erst die wirklich lesenswerten Ideen und Passagen liefert, mag schwer überprüfbar sein, zieht sich aber durch unser gesamtes bisheriges Arbeiten mit den Tools: Im Endeffekt werden Befehle eingeben, gewartet was passiert und dann überprüft. Eigene Recherche und kreatives Schreiben scheint andere Synapsen anzuwerfen.

Was ist grün und rennt durch den Wald?

Nicht ungerecht werden: Humor, auch von der flachsten Sorte, haben wir gar nicht erwartet. Aber ein Punkt, der den Stellenwert menschlichen Eingreifens und permanentes akribisches Kontrollieren auch für Mensch ohne jede Textaffinität verdeutlicht: ChatGPT ist keine Suchmaschine. Klare Fehlinformationen kommen häufig vor, schon bei einfachstem lexikalischem Wissen. Immerhin entschuldigt sie sich, wenn sie „erwischt“ wird:

Das stimmt, Rehe haben in der Regel kein grünes Fell. Ihr Fell ist normalerweise braun mit weißen Flecken im Sommer und im Winter eher graubraun. Entschuldigung für meine falsche Antwort zuvor. Wenn es um Tiere geht, die tatsächlich grün sind, fallen mir

Spätestens hier wird der Faktor Zeit dann sehr relativ – eine häufige Annahme ist ja, dass uns die KIs zumindest schnelleres Arbeiten ermöglichen. Im Moment, in der Phase des Kennenlernens und Ausprobierens, ist das definitiv nicht der Fall. Im Gegenteil. Alles, was die KI so von sich gibt, muss gegengeprüft werden. Umso mehr, als sie alles im Brustton der Überzeugung von sich gibt und es normalerweise auch erst mal schlüssig klingt. Insofern ähnelt sie einem nicht unbegabten, aber etwas schlampigen Berufsanfänger, nur macht sie kaum orthografische Fehler. Und genau diese Konstellation erfordert größte Aufmerksamkeit. Denn einem von Mensch geschriebenem Text merkt man es schnell an, wenn der Verfasser nicht wirklich im Thema bewandert ist – das schlägt normalerweise auf Formulierungen und Wendungen durch. Der Duktus der KI mag langweilig zu lesen sein, lässt aber solche Rückschlüsse (oft) nicht zu. Woran leider zu merken ist, dass ChatGPT an Grenzen stößt, sind inhaltliche Wiederholungen, wenn es eigentlich darum ginge, tiefer in Themen einzusteigen. Dann wird oft wiederholt, was schon geschrieben wurde, nur eben anders formuliert.

Wie lernen wir, die KI zu lieben?

Ein Schreiner benutzt einen Schraubenzieher – für gewöhnlich einen Tick souveräner als auch der geübte Freizeit-Heimwerker. Trotzdem hat man noch von keinem Schreiner gehört, der damit wirbt, Spezialist für Schraubendreher zu sein. Um noch einmal einen Satz aus dem vorangegangenen Beitrag aufzugreifen: „Es muss also immer – wirklich immer – ein Mensch dabei sein.“ Das sollte unstrittig sein. Meine Differenzierung dazu: Wenn es sinnvoll erscheint, darf auch eine KI dabei sein. Aber nicht mal dann muss sie. Mein Appell an die Agenturbranche, an alle Kreativen, Entwickler, Texter ebenso wie im Management und inklusive allen Kolleg*innen im Marketing sowie Journalisten usf. usw.: Lasst uns bei allem Lärm auf dem Marktplatz des globalen digitalen Dorfes klar im Bewusstsein halten, dass wir die Spezialisten sind und sein werden, die souverän auswählen können, welche Werkzeuge wir benutzen. Nämlich diejenigen, die sich anbieten, um bessere oder genauso gute Ergebnisse abzuliefern. Im digitalen Zeitalter gab es ständig neue Werkzeuge für uns und das wird so bleiben. Die KIs, wie wir sie jetzt kennenlernen, werden sich ausgestalten und schon bald Formen annehmen, die mit den aktuellen Versionen wenig zu tun haben. Lasst uns Spezialisten für Texte, Designs, UX und vieles mehr bleiben. Kein Schreiner mag auf seine Schraubenzieher verzichten – warum auch, niemand kann besser mit ihnen umgehen.

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